Vorwort:
Anfang 2017 hatte ich erstmals Kontakt zu Hannes Reiterer aufgenommen, nachdem ich von seiner Orchideenkultur in Styroporstreifen (Bombanudeln) gehört hatte. Er ließ mir eine Probe von den Styroporstreifen zukommen und darin habe ich ca. 30 Paphiopedilen und andere Orchideen getopft. Alle Orchideen sind richtig gut in diesem neuen Substrat in 2017 gewachsen und so habe ich Anfang 2018 alle meine Orchideen in dieses Substrat gepflanzt. Bis heute (2023) bin ich bei diesem Pflanzstoff geblieben – umgetopft werden muss jetzt nur noch, wenn Orchideen über den Topfrand hinaus oder in die Höhe wachsen. Allerdings habe ich nur einen Schredder mit einer Schnittbreite von 4 mm auftreiben können – die etwas sperrigen Styroporstreifen werden bei mir mit einer dünnen Schicht Kieselsteine bedeckt.
Auf meinen Wunsch hin hat Herr Reiterer einen Artikel zu diesem interessanten Thema geschrieben, der dann im Frühjahr 2018 im Orchideenjournal (Vereinigung deutscher Orchideenfreunde) veröffentlich worden ist:
Eine etwas andere Paphiopedilumkultur im Kleingewächshaus - Hannes Reiterer
Kurzvorstellung: Liebhaber aus Wien, 63 Jahre alt (leider in 2021 verstorben), der die erste Orchidee vor 41 Jahren erwarb und nach zwei Jahren Fensterbankkultur das erste Gewächshaus baute. Heute werden in zwei Glashäusern (Warmhaus 43 qm, Kalthaus 28 qm) ca. 1600 Orchideen kultiviert, meine Ehefrau botanisiert auch, ihre Bonsaisammlung besteht aus 200 teils sehr alten Bäumen.
Wer 41 Jahre Orchideen pflegt, der hat schon „Alles“ ausprobiert. Jegliche Literatur wird verschlungen, Tipps von Profis werden akribisch in die Tat umgesetzt, die Erfolge waren eher bescheiden. Alles wurde hinterfragt, bis die Erkenntnis reifte, dass in den Großraumgewächshäusern des Erwerbsgartenbaues vieles Anders ist, als in einem Kleingewächshaus mit beschränktem Luftraum. Kulturparameter wie Licht, Gießwasserqualität und Temperatur sind unumstößliche Konstanten, die sich in beiden Gewächshaustypen nicht unterscheiden.
Der Bau eines Gewächshauses ist finanziell mit großen Ausgaben verbunden, für die Klimatisierung ist meistens kein Geld mehr übrig. Der Kulturraum wird im Sommer oftmals zu heiß, im Winter werden Heizkosten gespart, die Luftfeuchte befindet sich dann im Niemandsland. Misserfolge sind vorprogrammiert. Erst wenn eine ausreichende Klimatisierung des Kulturraumes gewährleistet ist, sollte man die ersten Pflanzen darin pflegen, die Erfolge werden sich dann einstellen.
Dadurch ermutigt, bricht das Orchideenvirus bald vollständig aus, die Pflanzen werden immer mehr, die letzten Plätze werden mit Hängekulturen ausgefüllt. Beim Gießen vernässt man die auf den Tischen stehenden Pflanzen, Pilzkrankheiten und Bakteriosen sind die logische Folge. Der Pflanzstoff trocknet nicht mehr aus und die Wurzeln beginnen zu faulen. Um diese Probleme zu minimieren, wird häufiger umgepflanzt, der Pflanzstoff offener gemischt, der Arbeitsaufwand steigt erheblich.
Durch Beobachtungen an den Naturstandorten wusste ich, dass in der Natur nach einem Regenguss der Wind innerhalb einiger Stunden wieder Alles trocken bläst. Die Luftumwälzung wird in den meisten Kulturen leider sehr stiefmütterlich behandelt, Paphiopedilumpflege ohne ausreichende Luftbewegung ist kaum erfolgreich. Bakterielle Krankheiten wie Erwinia und Pseudomonas sind beim Überkopfgießen die Folge. Die Pflanzen sollten immer trocken in die Nacht gehen. Angestrebt wird eine 20-40 fache Luftumwälzung pro Stunde nach der Formel Rauminhalt x 20-40 = Kubikmeter pro Stunde Ventilatorleistung. Die Luftumwälzer werden leicht schräg nach unten geneigt über den Tischen angebracht. Es ist besser die erforderliche Leistung auf mehrere kleinere Geräte zu verteilen, um alle Winkel zu erreichen. Mittels eines Drehzahlstellers kann die Leistung der Geräte nach dem Gießen erhöht werden, damit die Blätter und Triebherzen schneller abtrocknen. Für den Dauerbetrieb wird die Leistung wieder etwas reduziert. In meinem 43 qm Warmhaus laufen sieben Ventilatoren mit einer Gesamtleistung von 5000 Kubikmeter pro Stunde im Dauerbetrieb, abgeschaltet werden sie nur im Sommer, wenn die Zwangsentlüftung für genügend Luftbewegung sorgt.
Belüftet wird das Haus nicht über Lüftungsfenster, da mit der warmen Luft auch die Luftfeuchtigkeit nach außen entschwindet, sondern mit vier thermostatgesteuerten Zwangslüftungsventilatoren im Giebel. Parallel dazu blasen drei Ventilatoren kühle und feuchte Luft aus einer dem Glashaus angebauten Nebelkammer in das Gewächshaus. Verbunden mit einer beweglichen 70% Schattierung kann die Innentemperatur an den meisten Sommertagen auf 26 Grad gehalten werden. Paphiopedilen verlangsamen ab 26 Grad ihr Wachstum, bei noch höheren Temperaturen schließen sich die Stomata und das Wachstum wird ganz eingestellt.
Eine ausreichende Luftumwälzung hilft auch Heizkosten zu sparen, da die Luftschichtung unterbunden wird (warme Luft steigt nach oben, auf den Tischen hat es 2-3 Grad weniger).
Die Abbildung dokumentiert das System der Zwangsentlüftung, Kühlung und Luftumwälzung. Früher standen die Nebler direkt im Haus, das war für Blockkulturen sehr gut, die permanente Befeuchtung der Blätter führte bei Paphios aber nur zu Fäulnis und Bakteriosen. Selbst das Abschalten der Geräte am frühen Nachmittag konnte das Problem nicht lösen. Ähnliche Misserfolge brachte auch der Einsatz von Nebeldüsen. Bei meiner Anlage ströhmt nur kühle und feuchte Luft ins Gewächshaus, die Blätter und Triebe der Pflanzen bleiben dabei trocken.
Wenn in einem bis auf die letzte Ecke vollgestopften Gewächshaus gegossen wird, so kommt nur die Gießbrause in Frage. Einzeltopfbewässerung ist auch nicht möglich, von den Hängekulturen tropft das Wasser auf die darunter stehenden Pflanzen und man steht vor der Wahl, entweder die Hänger verdursten zu lassen, oder die Tischkulturen zu ertränken.
Um dem entgegen zu steuern wurden die Substratmischungen immer offener und bestanden aus vielen unterschiedlichen Komponenten. Meiner Meinung nach sollte das Orchideensubstrat homogen sein und nur aus wenigen unterschiedlichen Bestandteilen bestehen. Versetzen sie sich in die Lage einer Wurzelspitze: Es ist März und sie beginnen fröhlich zu wachsen. Sie stoßen auf ein Stück Moos (pH 4), einen Zentimeter weiter auf Styropor (trocken, pH 7), und wieder ein Stück weiter auf Kiefernrinde (feucht, pH 6). Spätestens jetzt haben sie genug und pfeifen aufs Weiterwachsen.
Beim jährlichen Umsetzen ( das ist ein Muß bei Paphiopedilum in konventionellen Rindensubstraten) fiel mir immer öfter auf, dass die Bewurzelung in der Styropordrainage immer sehr gesund und üppig war, obwohl Paphis eher dazu neigen, meist nur wenige Wurzeln zu bilden. Je höher die Styroporschicht im Topf war, desto mehr gesunde Wurzeln waren vorhanden. Versuche mit Styroporstücken angelehnt an die damals schon verwendeten Orchid-Chips waren nicht zufriedenstellend. Kurze Zeit später erschien das Buch von Gerhard Bomba „Orchideenkultur im Haus“, und das was der Mann zum Besten gab war einfach nur großartig. Es sollte keine Probleme mehr mit Staunässe und Mineralisierung bei der Verwendung seines vorgeschlagenen Substrates aus Styropor geben. Leider ist Styrowoll nicht im Handel erhältlich. Es wurde vorgeschlagen, als Ausgangsmaterial 2mm starke, unkaschierte Styroportapete zu verwenden, die in einem Aktenvernichter zu 2-3mm breiten Streifen geschnitten werden. Die Schnittbreite soll unbedingt eingehalten werden, da sie die beste Wasserführung (Kapilarität) des Pflanzstoffes garantiert. Die Länge der Fäden lassen sich durch Zerreißen der jeweiligen Topfgröße anpassen. Das Material lädt sich in geschnittener Form meist elektrostatisch auf, dieser Effekt verliert sich aber, sobald man es mit Wasser benetzt (+ Netzmittel).
Styrowoll enthält keinerlei Nährstoffe, nimmt keine auf und geringe Nährsalzrückstände auf der Oberfläche werden beim Durchspülen mit reinem Wasser restlos ausgewaschen. Die Kulturparameter Umsetzen, Gießen und die Düngung müssen an den neuen Pflanzstoff angepasst werden. Der beste Zeitpunkt für eine Umstellung auf den neuen Pflanzstoff ist natürlich das zeitige Frühjahr und Anfang September, wo Paphis meistens noch einmal neue Wurzeln bilden können. Umpflanzen sollte man eigentlich nur, wenn sichtbar neue Triebe oder Wurzeln gebildet werden. Jungpflanzen ohne jahreszeitlich ausgeprägten Rhythmus können zu jeder Zeit umgepflanzt werden. Zunächst entfernt man dem alten Pflanzstoff und schneidet die Wurzeln auf eine Länge von 4-6 cm zurück, sie würden in dem völlig anderen Substrat nicht überleben. Die verbleibenden Wurzelstumpen werden bald willig neu austreiben. Die Schnittstellen desinfiziert man am Besten mit Zimt- oder Holzkohlepulver, und breitet den neuen Pflanzstoff so zwischen den Wurzeln aus, dass diese im oberen Teil des Topfes sind, wo sie der Pflanze Halt geben aber schnell abtrocknen können, um bald neue Wurzeln zu bilden. Man sollte weder zu locker noch zu fest topfen, die Wurzeln sitzen auch mit den kurzen Wurzeln sehr fest im Topf. Kräftig angegossen wird erst nach einigen Tagen bis die Schnittstellen der Wurzeln vernarbt sind. Durch häufiges leichtes Sprühen und stärkeres Schattieren wird zu starker Wasserverlust vermieden. Sind alle Klimafaktoren im Optimum, sollten die Pflanzen nach sechs! Wochen eingewurzelt sein.
Um bei größeren Paphis die Standfestigkeit zu erhöhen, legt man auf den Topfboden wenige große Kieselsteine. Bei in konventionellen Rindensubstraten gepflegten Pflanzen sollte man nur kleinste Töpfe verwenden, in Styrowoll kann man ruhig die Größe auf einen mehrjährigen Zuwachs auslegen, ohne Wurzelverluste befürchten zu müssen.
Nachdem Styrowoll weder Salze aufnimmt oder abgibt und sich nicht zersetzt, ist das Umsetzen für die nächsten Jahre nur dann notwenig, wenn die Gefäße zu klein werden. Verwendet werden ausschließlich undurchsichtige Plastiktöpfe, zur Kontrolle kann man wenige Anzeigerpflanzen in transparenten Töpfen kultivieren, um den Feuchtigkeitszustand des Ballens kontrollieren zu können. Alle Zuschlagstoffe verschlechtern die Eigenschaften dieses Pflanzstoffes – das Abdecken der Oberfläche mit Sphagnum vermindert den Luftaustausch und führt zur Fäulnis der Pflanze.
Beim Epiflorverfahren (G. Bomba) werden die guten Eigenschaften des Styropors hauptsächlich für Epiphyten in Form von Bohlen oder Formstücken mit Sprühdüsenbewässerung angewendet. In Liebhabergewächshäusern wäre der technische Aufwand zu hoch. Die von mir verwendeten Styroporblöcke werden dahingehend modifiziert, dass die Oberfläche mit einer groben Raspel aufgerauht wird, zusätzlich sticht man mit einer Gabel etliche Löcher in die Oberfläche des Blockes, in denen sich Wasser ansammelt und die Pflanzen versorgt. So veränderte Styroporstücke halten das Wasser länger und veralgen und vermoosen mit der Zeit, was die Pflege weiter vereinfacht.
Blockpflanzen, die zehn Jahre und mehr auf herkömmlichen Materialien gewachsen sind und beim Zersetzen der Korkeichenrinden durch Gerbsäure etc. alle ihre Wurzeln verloren haben, sind meist nicht mehr zu retten.
Zurück zu den Paphiopedilen: Bei Verwendung von Pflanzstoffen auf Styroporbasis spielt die Härte des Wassers keine so entscheidene Rolle, da Styropor weder von Kalzium noch von Magnesium zersetzt werden. Ca und Mg fördern gerade bei Paphis die Festigkeit des Gewebes und die Panaschierung bei buntlaubigen Spezies und verbessern zusätzlich das Wurzelwachstum. Das Aufkalken des Styroporsubstrates entfällt, da er beim ersten Gießen ausgespült wird. Als Ersatz gießt man mehrere Male im Jahr mit einer Kalkmilchlösung (1-2g Algenkalk/l Wasser).
Ich verwende fast nur Wiener Leitungswasser (240 Mikrosiemens, pH 7,4). Der pH-Wert wird mit verdünnter Phosphorsäure auf pH 6,5 abgesenkt. Zusätzlich kommt Wasserstoffperoxyd zum Entkeimen und Anreichern von Sauerstoff dazu. Gegossen wird Überkopf mit einer feinen Gießbrause maximal 2x im Sommer pro Woche, im Winter wird höchstens 1x pro Woche und in der Übergangszeit wird noch seltener Wasser gegeben. Bei Sonnenschein wird in der Wachstumszeit jeden Tag morgens kräftig gesprüht.
Dieser Pflanzstoff enthält keinerlei Nährstoffe und legt auch keine fest, sodass der Ernährung der Orchideen besondere Bedeutung zukommt.
In gemischten Liebhabersammlungen kann die Konzentration der Nährstoffe immer nur einen Kompromiss darstellen, ein Paph. canhii mit einer Blattspanne von 10cm wird gleich gedüngt wie Paph. kolopakingii mit 100cm. Da Styrowoll keine Pufferwirkung hat und jede Salzkonzentration in voller Stärke auf die Wurzeln wirkt, sollte die Konzentration 600 Mikrosiemens nicht übersteigen. Es werden ausschließlich mineralische Dünger verwendet. Organische Düngemittel sind nicht zu empfehlen, sie müssen erst von den Bodenbakterien aufbereitet und in Ionen umgewandelt werden, was bei sterielen Pflanzstoffen nicht möglich ist, da zu wenig Bakterien vorhanden sind.
Bomba empfiehlt in der Wachstumszeit bei jedem dritten Wässern zu düngen, ansonsten unterscheidet sich die Ernährung der Pflanzen kaum von der in konventionellen Rindensubstraten. Rinde benötigt nur einen höheren Stickstoffanteil, Styropor nicht.
Ich befeuchte zuerst alle Pflanzen mit reinem Wasser, bevor die Düngerlösung mit Wasserüberschuß vergossen wird. Um die Wurzelbildung im Frühjahr zu unterstützen, wird einige Male mit phosphorbetontem Dünger gegossen, ansonsten kommen hauptsächlich ausgeglichene Nährlösungen (20:20:20) im Wechsel mit leicht stickstoffbetonten Düngern zum Einsatz. Ab September dünge ich Kali-Phosphor betont, um ab November auf null zu reduzieren.
Starke Luftumwälzung in Kombination mit durchlässigen Substraten verhindern weitgehend Pilzerkrankungen, es wird 2x pro Jahr profilaktisch mit einem Breitbandfungizid gespritzt. Bewährt hat sich der Einsatz von Zimt zur Desinfektion von Schnittstellen, alle drei Monate bestreue ich alle Pflanzen mit Zimtpulver und schlämme beim anschließendem Wässern den Zimt in die Basis der Blattachseln und in das Triebherz der Pflanzen, worauf das Ausfaulen von Trieben weitgehend verhindert wird. Gut genährte Pflanzen werden selten von tierischen Schädlingen befallen, sodass eine vorbeugende Behandlung nicht notwendig ist. Gespritzt wird nur bei Befall mit systemischen Insektiziden.
Die Umstellung von „natürlichen“ Pflanzstoffen auf 100% Styropor erfordert etwas Mut, denn sie widerspricht der „naturnahen“ Kultur von Pflanzen.
Fazit: Der Mehraufwand an Gießarbeiten relativiert sich alleine schon dadurch, dass nur dann umgesetzt wird, wenn die Gefäße zu klein geworden sind. Der Pflanzstoff ist leicht herzustellen, kostengünstig und wieder zu verwenden, wenn man ihn nach jahrelangem Gebrauch auswäscht und von Algen befreit. Wurzelschäden durch Staunässe und zu hoher Salzgehalt im Substrat sind fast nicht mehr möglich. Durch den starken Luftaustausch und eine kräftige Luftumwälzung trocknet das Laub der Pflanzen selbst bei engem Stand nach dem Gießen rasch ab, bakterielle Blattfäule und Pilzkrankheiten werden weitgehend verhindert.
Viele Wege führen in der Orchideenkultur nach Rom.