Orchideenkultur - Theorie und Praxis Teil 3
Als Fazit aus den ersten beiden Teilen meiner Abhandlungen zum Thema Orchideenkultur habe ich festgestellt, dass bei meiner Kulturführung immer wieder „Versalzungsprobleme“ in den unterschiedlichen Substraten aufgetreten sind. Selbst das regelmäßige Spülen des Pflanzstoffes mit Regenwasser führte nicht zu einer Reduzierung des hohen Salzgehaltes im Pflanzstoff und damit auch nicht zu einer Verbesserungen in der Orchideenkultur.
Daraufhin habe ich eine Alternative zu mineralischen Düngesalzen gesucht und diese letztendlich im Komposttee gefunden (Teil 2). Dazu wird Wurmhumus in Wasser gelöst. Mit diesem Kompostextrakt habe ich meine Orchideen in den letzten anderthalb Jahren regelmäßig über das Substrat gegossen. Zusätzlich wurden die Pflanzen wöchentlich mit einer Blattdüngung versorgt. Seit Anfang 2018 wurde der mineralische Anteil der Düngelösung drastisch gesenkt, der Leitwert übersteigt kaum noch 200 µS.
Bei vielen meiner Orchideen bin ich heute mit dem Wachstum und der Blütenproduktion zufrieden, trotzdem gibt es noch Verbesserungspotential. Mein Orchideenbestand besteht zu 70 % aus Paphiopedilum-Naturformen, der Rest besteht aus Naturformen der Gattungen Cattleya, Phalaenopsis, Oncidium, Odontoglossum etc.
Eine wachstumsbezogene Düngung kann kaum realisiert werden, da viele Orchideenarten ein unterschiedliches Wachstum haben. Während Cattleyen im Herbst die Bulben gebildet haben und kaum noch Dünger benötigen, fangen beispielsweise die Laelia (Cattl.) purpurata-Pflanzen gerade erst mit dem Wachstum an. Bei den Phalaenopsis- und Paphiopedilum- Arten gibt es zudem Sommer- und Winterwachser. Also musste eine ausreichende und ergänzende „Düngung“ neben dem Komposttee für das ganze Jahr gefunden werden.
Von Orchideenfreunden bin ich immer wieder angesprochen worden, ob die Herstellung des Komposttees zeitlich nicht sehr aufwändig sei. Ja, durchaus. Wer zudem nur wenige Orchideen auf der Fensterbank in seiner Wohnung kultiviert, der wird diesen Aufwand dafür nicht betreiben. Zudem muss der Extrakt unverzüglich nach der Herstellung verbraucht werden, da er nach wenigen Tagen in Fäulnis übergehen kann und damit als Orchideendünger unbrauchbar wird.
Diese Fragestellung hat mich veranlasst, nach Alternativen zum selbst hergestellten Wurmhumus-Extrakt zu suchen.
Von einem Berater für ökologischen Landbau habe ich von einem Produkt auf der Basis von Kompost erfahren, das aus Weintrester gewonnen wird. Weintrester sind Pressrückstände, die bei der Herstellung von Wein anfallen. Diese Pressrückstände werden in einem aufwändigen Verfahren zunächst fermentiert, dann oxidiert und letztendlich extrahiert.
Bei der Fermentation wird das Rohmaterial (hier Weintrester) durch mikrobielle Prozesse unter Luftausschluss (anaerob) zersetzt. Dabei entstehen Enzyme, Aminosäuren, Vitamine und letztendlich auch Mineralsalze, die dann direkt oder als Presssaft von Pflanzen als „Dünger“ aufgenommen und verwertet werden können.
Fermentationsprodukte sind uns in der Orchideenkultur schon bekannt - z.B. Vitanal, Waldleben, KE-Extrakt. Bei der Dosierung dieser Mittel muss man allerdings den sehr niedrigen pH-Wert beachten und dann den pH-Wert nach Zugabe der Mittel in das Gießwasser auf Werte um pH 6.0 einstellen.
Um den niedrigen pH-Wert des fermentierten Weintresters im Produktionsverfahren anzuheben, werden die Pressrückstände in einem nächsten Arbeitsschritt oxidiert. Dieses Verfahren entspricht weitgehend der Kompostierung. Durch mehrfaches Umsetzen wird dem Weintrester Luft zugesetzt, der Kompost reift und dabei steigt der pH-Wert in den neutralen Bereich.
Dieser fertige Kompost aus Weintrester wird im ökologischen Landbau als zertifizierter Biodünger eingesetzt. Damit dieses Produkt von einem größeren Kundenkreis und damit auch von uns für die Kultivierung von Orchideen genutzt werden kann, wird dem Kompost in einem weiteren Arbeitsschritt Wasser zugesetzt und mit Sauerstoff angereichert (Extraktion). In einem mehrmonatigen Verfahren entsteht ein wertvoller flüssiger „Dünger“ aus Weintresterhumus, der mindestens ein Jahr haltbar ist.
Vergleicht man Wurmhumus mit dem Weintresterhumus auf seine Inhaltsstoffe, stellt man fest, das vergleichbare Werte von Stickstoff (3-4 %), Phosphor (1-3 %) und Kalium (2-4 %) in beiden Produkten vorhanden sind. In den wässrigen Lösungen aus diesen Komposten ist dann nur noch ein Bruchteil dieser Nährstoffe zu finden. Darum werden diese Produkte auch als Pflanzenhilfsstoffe vermarktet.
Für die Orchideenkultur könnte das bedeuten, dass mit dem flüssigen Weintresterhumus eine einfach zu handhabende Möglichkeit für eine organische Ernährung gefunden worden ist. Diese Produkte aus Weintrester werden in Deutschland von der Firma BioVin hergestellt und unter dem Namen BlütoVin oder FertiCult Orchideendünger auch in Literflasche verkauft.
Sucht man den Namen BioVin im Internet, wird man auf eine Firma in Österreich mit gleichem Namen aufmerksam. Dort gibt es einen Link zum Tiroler Orchideenverein. BioVin wird schon seit 15 Jahren erfolgreich in der Orchideenkultur verwendet.
Parallel zu diesen Versuchen treibt mich immer wieder die Frage um: Wie ernähren sich die Orchideen am Naturstandort? Oftmals werden die Pflanzen im Urwald deutlich größer als bei uns in der Kultur.
Eine These aus der Pflanzenforschung besagt, dass das Wachstumspotential der Pflanzen stark von ihrer Stickstoffversorgung abhängt. Stickstoff ist der Motor der Nährstoffdynamik. Ohne ihn können die anderen verfügbaren Hauptnährstoffe und Spurenelemente nur unzureichend verwertet werden. Aus diesem Grund ist auf den Stickstoff und die Art des Stickstoffes ein besonderes Augenmerk zu richten.
In Kanada hat ein Forscherteam von der McGill Universität Montreal in einem Biospährenreservat in British Columbia festgestellt, dass in den Kronen alter Bäume große Mengen an Stickstoffverbindungen durch Cyanobakterien (Blaualgen) hergestellt werden, die dem Wald als Dünger zugutekommen. Blaualgen sind in der Lage, den molekularen Stickstoff aus der Luft in organische Verbindungen umzuwandeln. Diese Blaualgen siedeln sich vorwiegend in den Moosen an, die auf Bäumen wachsen. Je älter die Bäume sind, desto größer ist der Moosbesatz und damit auch die Besiedelung mit Blaualgen.
Beim nächsten Regen werden diese Stickstoffverbindungen ausgewaschen und stehen den Bäumen oder anderen Pflanzen (Epiphyten) im Wald zur Verfügung.
In einer weiteren Studie untersuchten deutsche Forscher den Beitrag von krytogamen Schichten, die große Mengen an Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff fixieren können. Circa 30% der weltweiten Landflächen sind von krytogamen Schichten bedeckt. Krytogame sind Lebewesen, die zur Photosynthese fähig sind, aber keine Blüten ausbilden. Dazu zählt man Moose, Flechten, Algen, Pilze und die schon genannten Cyanobakterien. Mithilfe von Licht binden sie erhebliche Mengen Stickstoff aus der Atmosphäre. Bei dieser Art der Stickstofffixierung entsteht Ammonium, dass umgehend von Pflanzen verwertet werden kann.
Ein großer Teil der Orchideen in den Urwäldern wächst dort, wo Moose und Flechten vorhanden sind. Offensichtlich können Orchideen von der eben beschriebenen Stickstofffixierung profitieren. Weiterhin scheinen Orchideen am Naturstandort besonders dort zu wachsen, wo sich auch gefallenes Laub angesammelt hat. Dieses Laub wird bei der konstant hohen Feuchtigkeit und Wärme schnell als organische Masse abgebaut und in seine mineralischen Bestandteile zerlegt (Humus) und steht dann den Pflanzen als Nahrung zur Verfügung.
Aus der bisherigen landwirtschaftlichen Forschung wissen wir, dass Stickstoff von den Pflanzen in Form von Nitrat und Ammonium aufgenommen wird. Die Aufnahme erfolgt generell über die Wurzeln, aber auch die Blätter können Stickstoff aufnehmen.
Nitrat gelangt mit dem Bodenwasser in die Pflanze (passive Aufnahme). Für diese Art der Aufnahme benötigt die Pflanze kaum Energie, kann dafür die Menge an aufgenommenem Nitrat aber auch nicht steuern. Ist die Aufnahme größer als der Bedarf, entstehen in der Folge dünne Zellwände, wodurch die Pflanzenstabilität leiden kann und damit ggfs. Krankheiten oder Schädlingsbefall nach sich ziehen kann.
Für die Ammoniumaufnahme muss die Pflanze hingegen mehr Energie aufwenden. Diese sogenannte aktive Aufnahme bewirkt, dass die Pflanze nur soviel Stickstoff aufnimmt, wie sie benötigt.
Durch den hohen Einsatz von mineralischen oder tierischen Düngern in der Landwirtschaft häufen sich die Meldungen über den hohen Nitrateintrag in unserem Trinkwasser. Durch neue Forschungsaufträge werden Alternativen zu den bisher genutzten Düngern gesucht. Dabei wurde festgestellt, dass Pflanzen nicht nur Ammonium und Nitrate als Stickstoffquelle aufnehmen, sondern auch Harnstoff und Aminosäuren direkt von den Pflanzen aufgenommen und verwertet werden können. Die Vor- und Nachteile von Harnstoff und Aminosäuren für die Ernährung unserer Orchideen soll im Folgenden kurz skizziert werden.
In den letzten Jahren hat man in der Landwirtschaft mit Harnstoff als Stickstoffquelle experimentiert. Wird Harnstoff dem Ackerboden zugesetzt, setzt die sogenannte Nitrifizierung ein: Harnstoff wird durch Bakterien zunächst in Ammonium und dann später zu Nitrat umgewandelt. Um diesen Umsetzungsprozess zeitlich hinauszuzögern, hat man sowohl Harnstoff als auch Ammonium mit einer organischen Ummantelung versorgt, die nur langsam durch Bodenbakterien abgebaut wird. Das Ziel dabei ist, den Stickstofffluss für einen längeren Zeitraum sicher zu stellen und die Ackerpflanzen mit unterschiedlichen Stickstoffquellen zu versorgen. Letztendlich soll auch möglichst wenig überschüssiges Nitrat ins Grundwasser gelangen.
Wegen der nicht planbaren Zeitverzögerung des Stickstoffflusses wurde Harnstoff bisher selten als Orchideendünger genutzt. Fügt man Harnstoff einer Düngerlösung zu, erhöht sich der Leitwert nicht. Bei der nachfolgenden Umwandlung des Harnstoffes zu Ammonium und Nitrat steigt dann aber der Leitwert und damit auch der Salzgehalt im Orchideensubstrat.
Ungeachtet dieser möglichen Nachteile wurde in einigen namhaften Orchideenbetrieben bzw. -sammlungen in der Vergangenheit immer mal wieder Harnstoff als alleinige Stickstoffquelle mit sehr guten Erfolgen eingesetzt. Aus der inVitro-Kultur ist bekannt, dass einige Orchideenarten besser auf Ammonium, andere Arten auf Nitrat als Stickstoffdünger keimen bzw. wachsen. Es gibt auch erfolgreiche Nachzuchten, die auf Nährböden nur mit Harnstoff als Stickstoffquelle gezogen worden sind.
Die Nutzung von Harnstoff in der Orchideenernährung wird auch weiterhin kontrovers diskutiert werden.
Verbleibt noch die Nutzung von Aminosäuren als Stickstoffquelle für unsere Orchideen. Liest man das Datenblatt von Vitanal und ähnlichen Fermentationsprodukten, stehen Aminosäuren ganz oben auf der Liste der Inhaltsstoffe. Einige meiner Orchideenfreunde sind überzeugt von der positiven Wirkung dieser Pflanzenhilfsstoffe. Es gibt aber auch Untersuchungen mit Parallelversuchen an Orchideen mit derartigen Produkten (mit und ohne Fermentationsprodukte) mit dem Ergebnis, dass keine Verbesserung des Wachstums festgestellt werden konnte. Wenn bei diesen Versuchen die Pflanzen aber schon ausreichend mit Stickstoff versorgt worden sind, dürfte ein geringer zusätzlicher Anteil von Aminosäuren aus diesen „Düngern“ tatsächlich keine Verbesserungen ergeben.
Bei der weiteren Recherche zum Thema „Aminosäuren“ bin ich auf einen Biodünger aus der Zuckerrübe aufmerksam geworden – auf Vinasse.
In der Zuckerfabrik verbleibt nach der Auskristallisierung des Weißzuckers eine sogenannte Fabrikmelasse. Diese Melasse wird wegen des hohen Nährgehaltes als Viehfutter verwendet, aber auch von der Hefe- und Alkoholindustrie als Rohstoff weiterverarbeitet. Dort wird die Melasse gereinigt, angesäuert und mit Bakterienstämmen angereichert. Bei der anschließenden Fermentation entsteht Alkohol, und der dann weitgehend entzuckerte Melasserest geht unter dem Handelsnamen Vinasse erneut an die Futtermittelindustrie oder auch an die Landwirtschaft.
Die Vinasse hat einen ausgeglichenen Anteil an organisch gebundenen Mineralstoffen, der Stickstoff besteht überwiegend aus Aminosäuren und der pH-Wert liegt um 6,0. Hiermit scheint ein organischer Dünger mit allen notwendigen Nährstoffen für die Orchideenkultur gefunden zu sein.
Mit Vinasse habe ich vorsichtig meine Orchideen zusätzlich zum Humusextrakt sowohl über das Substrat als auch über das Blatt gedüngt. Erste positive Anzeichen waren zu erkennen. In der kommenden Vegetationsperiode muss noch die richtige Düngerhöhe getestet werden.
Bei meinen Versuchen mit der Kultur von Orchideen ohne mineralischen Dünger sind bei einigen Coelogynen und Lycasten feine Wurzelhärchen an den Wurzeln außerhalb des Pflanzstoffes sichtbar geworden. Diese verschwinden sofort, wenn mineralische Düngesalze eingesetzt werden.
In den nächsten Jahren wird sich zeigen müssen, ob die von mir gewählte Kulturweise bessere Erfolge in der Orchideenkultur in meinem Gewächshaus bringen kann - Anfangserfolge sind sichtbar.
Wer jetzt am Ende des Artikels eine fertige Gebrauchsanweisung für die Kultur seiner Orchideen erwartet hat, den muss ich leider enttäuschen. Das ist aber vor allem meinem „Forscherdrang“ geschuldet - kaum habe ich eine Problemstellung scheinbar gelöst, sind schon wieder neue Ideen vorhanden, wie ich die Kultur verbessern kann.
Fortsetzung folgt