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Was uns die Orchideenwurzeln sagen

 

Unter diesem Titel ist Mitte der 70er Jahre ein Artikel in einer Orchideenzeitschrift erschienen. Etwas provokant wurde damals schon formuliert, ob wir Orchideenkultivateure uns nicht genug darum bemühen, unsere Pflanzen richtig kennenzulernen, oder aber wir wenden unsere Kenntnisse einfach nicht an. Gehören wir einer Gesellschaft an, die uns vielleicht nicht mehr lehrt etwas genau anzuschauen, geschweige bestimmt Vorgänge einzusehen und zu verstehen? Man erwartet überall fertige Rezepte und verzichtet auf logisches Denken.

Es ist seltsam, dass eine Gesellschaft, welche Orchideen pflegt und der man den Begriff der Photosynthese in bezug auf den grünen Bestandteil der Blätter und die Notwendigkeit des Lichtes für die Produktion von Pflanzensubstanz beigebracht wurde, so viel Zeit mit dem Versuch zubringt, grüne und damit chlorophyllhaltige Wurzelspitzen in Töpfe mit Pflanzstoff einzutopfen – warum?

Die Natur verschwendet selten etwas unnötigerweise, und deshalb müssen wir annehmen, dass das Chlorophyll in den Wurzeln eine besondere Funktion hat. In Amerika wurde bei Versuchen mit grünem Gewebe aus verschiedenen Stellen von Orchideenpflanzen herausgefunden, dass bei gleicher Menge das Chlorophyll in den Wurzelspitzen 6 bis 36 mal wirksamer als das Chlorophyll in den Blättern assimiliert. Inwieweit durchsichtige Pflanzgefäße diese Wirkung der Wurzeln unterstützen können, wird oftmals schon auszuprobiert.

Etwa 3 bis 4 Zentimeter hinter der grünen Wurzelspitze folgt bei epiphytischen Orchideen das sogenannte Velamen, in dem die Zellen ihren aktiven Zellinhalt verloren haben. Die äußere Schicht des Velamens ist weiß, deshalb refektiert sie Licht und Wärme. Das ist vernünftig, weil viele Orchideen in extrem heißem Klima leben und von Zeit zu Zeit direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, die den wirksamen Teil der Wurzeln austrocknen lassen würde, wenn er nicht geschützt wäre.

Wurzel von Phal. violacea in Rindensubstrat 

                                                                                                                                                                                                                                                                            Wurzel von Phal. violacea im dauerfeuchten Semi-Hydro Substrat

 

Unter dem Velamen liegt eine einzellige Schicht gesunder Zellen, die sie von der Exodermis trennt, die aus gesunden Zellen besteht. Von hier aus gelangt das Wasser in den Zentralzylinder der Wurzel und kann so mit dem Transpirationsstrom und auf osmotischen Wegen in die Pflanze transportiert werden. Die leeren Zellen des Velamens können sich wie ein Schwamm verhalten und Wasser aufnehmen, wenn die Wurzel Regenwasser oder Feuchtigkeit in Form von Nebel bekommt. Kurzfristig erscheint jetzt das Velamen grünlich. Lange Zeit hatte man angenommen, dass damit die Feuchtigkeit als Reservoir gehalten werden könnte. Das ist zweifelhaft, denn wir wissen heute, dass das Velamen schnell wieder austrocknet. Es ist wahrscheinlicher, dass die feuchten Zellen des Velamens neben der Versorgung der Pflanze mit Wasser und Nährstoffen sich wie die Haare eines Blattes verhalten, indem sie einen Vorrat an feuchter Luft für die Kühlung des Wurzel enthalten. Damit ist die Wurzel für die intensive Sonneneinstrahlung des nächsten Tages gut geschützt.

Man kann immer wieder lesen, dass eine Orchidee nur so gut sein kann wie ihr Wurzelwerk. Es ist auffällig, dass das Wurzelwachstum sehr schnell voranschreiten kann und dann der Trieb sein Wachstum verlangsamt oder sogar für einige Zeit einstellt. Durch eine gezielte Ernährung der aktiven Wurzel kann erreicht werden, dass die aktiven Stoffwechselprodukte aus den Blättern leichter dem Trieb und schließlich der Blütenausbildung zu gute kommen.

Auch in der Ruhezeit der Orchideen ist es ratsam, eine leichte Wurzeldüngung mit Sprühnebel auszubringen, der dann auch als Blattdüngung anzusehen ist.

Glücklicherweise können sich Orchideenwurzeln an die jeweiligen Kulturzustände bzw. Substrate anpassen – sie müssen allerdings selbstständig in das jeweilige Substrat hineinwachsen. Am Naturstandort sind Wurzeln auch schon in Wasser, z.B. in Überschwemmungsgebieten oder in den Trichtern von Bromelien gefunden worden.

die Wurzel wächst in das Wasserservoir in einer Glaskultur

                                                                                                                                                                                                                                                                 in der Semi-Hydrokultur wachsen Wurzeln in das Wasser

 

Wer Orchideen schon am Standort gesehen hat, ist immer wieder beeindruckt wie große Orchideen dort werden können. Woher stammen aber die Nährstoffe, die für das üppige Wachstum der Pflanzen notwendig sind?

 

Eine der am häufigsten gehörten Erklärung besagt, dass Luftstickstoff durch Gewitter unter Blitzentladung gespalten und in Stickoxide überführt wird, die dann im Regenwasser gelöst werden und den Pflanzen dann zur Verfügung stehen.

Unter der Leitung von Dr. Zoe Lindo von der McGill University haben Forscher herausgefunden, dass in den Kronen alter Bäume große Mengen an Stickstoffverbindungen durch Cyanobakterien produziert werden, die in Moosen in den Bäumen leben. Aber auch Moose, Flechten und Algen können mit Licht als Energiequelle ihre Nahrung aus Stickstoff und Kohlenstoff aus der Atmospäre selber herstellen. Das gleiche gilt natürlich auch für Moose, Algen und Flechten auf Gesteinen und Felsen. Von Flechten weiß man, dass sie mit eigenen Ausscheidungen Gestein anlösen können, dass dann mit dem nächsten Regen anderen Pflanzen als Nährstoffe zur Verfügung stehen.

Auf bzw. in den Zellen des Verlamens der Wurzeln von epiphytischen Orchideen sind bestimmte Mikroorganismen gefunden worden, die den Stickstoff aus der Luft fixieren können. Werden die Wurzeln jetzt durch Regen oder kondensierende Luftfeuchtigkeit befeuchtet, wird dieser Stickstoff in Wasser gelöst und von dem Velamen wie ein Schwamm aufgesaugt und dringt letztlich bis zum Zentralzylinder vor und ernährt die Orchideen.

Durch eine intensive Landwirtschaft kann eine hohe Nitratbelastung insbesondere im Grundwasser festgestellt werden, die dann bei der Trinkwassergewinnung zu Problemen führen kann. Aus diesem Grund hat man nach Alternativen in der Düngung von Nutzpflanzen geforscht. Als Ergebnis sind Stickstofffixierende Bakterien gefunden worden, die ebenfalls den Stickstoff aus der Luft fixieren können. Diese Bakterien sind kultiviert und in Lösung gebracht worden, damit sie auf Blättern von Pflanzen aufgebracht werden können. Im Einzelfall sind damit Ertragssteigerungen von bis zu 40 Prozent gefunden worden.

Zu Versuchszwecken habe ich diese Bakterien der Produkte Poesie und BlueN auf meine Orchideen gesprüht und nach ca. zwei Wochen erste Erfolge im Wachstum erkennen können – Einbildung? Belastbare Aussagen werden wohl erst nach einer Kulturperiode gemacht werden können.

 

Die Substrate für unsere Orchideenkulturen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Farnwurzeln, Xaxim und Baumfarn sind schon lange u.a. auch wegen des Naturschutzes dieser Materialen nicht mehr erhältlich. Als erste Alternative sind Orchideen lange Zeit in Torf gepflanzt worden, aber auch die Moore als Quelle von Torf stehen heute unter Naturschutz.

In den letzten Jahren haben sich daher Rinde von verschiedenen Bäumen als Pflanzstoff für Orchideen angeboten und auch bewährt. Bei der Kultur muss man beachten, dass am Anfang der Kulturzeit die Rinde noch durch beinhaltende Harze geschützt ist und erst später durch Mikroorganismen langsam zersetzt wird. Dadurch kann die Rinde nach einigen Monaten mehr Wasser speichern und wir müssen weniger gießen. Beachtet man diese Tatsache nicht, können die Orchideenwurzeln schnell faulen. Hilfreich ist es daher, alle seine Orchideen zum selben Zeitpunkt umzutopfen.

Wenig beachtet wird auch, dass die meisten Rindensorten einen relativ niedrigen pH-Wert um die 4,5 haben. Das ist für viele Orchideenarten zu niedrig (insbesondere für Paphiopedilum) und die Wurzeln können dann schnell absterben. Die Gärtner setzten daher den Rindensubstraten kohlensauren Kalk (Calciumcarbonat) zu, um den pH-Wert anzuheben.

Auch wir Orchideenliebhaber sollten den Rindensubstraten alle paar Monate Kalk zusetzen um den pH-Wert in disem Substrat zu puffern.

gerade Paphiopedilen benötigen Kalk im Pflanzstoff 

                                                                                                                                                                                                                                                                      eine feiner Behaarung auch bei einer Coelogyne 

 

Als Gießwasser sollte grundsätzlich Regenwasser oder Osmosewasser in der Orchideenkultur verwendet werden, da es einen niedrig Leitwert hat. Leitungswasser hat üblicherweise einen zu hohen Leitwert und auch der pH-Wert ist mit weit über 7,0 für die Orchideenkultur viel zu hoch. Ein Mischen von drei Teilen Regenwasser und einem Teil Leitungswasser ist als Gießwasser für die Orchideen zuträglich. Sollen die Pflanzen gedüngt werden, verwendet man besser Regenwasser.

Versuche in meinem Orchideengewächshaus haben ergeben, dass die meisten Orchideenwurzeln empfindlich auf zu hohe Leitwerte und pH-Werte reagieren. Die grünen Wurzelspitzen ziehen sich schnell zurück, wenn die Orchideen mit einem Leitwert von mehr als 250 µS besprüht oder gegossen werden. Der pH-Wert sollte um die 6,0 liegen. In diesem Bereich können nahezu alle Nährelemente von den Pflanzen aufgenommen werden. Diese Werte gelten insbesondere für die sogenannten „Luftwurzeln“, die in der Natur kaum zu finden sind. Im Substrat sind die Wurzeln besser vor Leitwert und pH-Wert Schwankungen geschützt und können deshalb eine etwas höhere Düngerkonzentration vertragen.

 eine gute Duchwurzelung im Blähton (Semi-Hydro) einer Steinlaelia 

                                                                                                                                                                                                                                                                         gute Bewurzelung von Paphiopedilum in Semi-Hydro

 

Orchideenwurzeln dienen am Naturstandort in erster Linie der Verankerung der Pflanze im jeweiligen Substrat, unabhängig ob es sich um epiphytische oder terrestische Orchideen handelt. Die aktiven Wurzelspitzen sind aber auch immer auf der Suche nach Nährstoffen.

 

Auf der heimischen Fensterbank sieht man allerdings die meisten Orchideen mit vielen „Luftwurzeln“. Die Wurzeln wachsen lieber in die Luft, als dass sie in den Pflanzstoff hineinwachsen. Das liegt überwiegend daran, dass der Pflanzstoff durch die regelmäßige Verwendung von Leitungs- oder Düngerwasser völlig versalzen ist. Gerade die Substratoberfläche speichert nach dem Verdunsten des Wassers diese Salze und wirkt damit toxisch auf die Orchideenwurzel. Selbst das regelmäßige Spülen mit Regenwasser oder destilliertem Wasser schafft kaum für Abhilfe. Alleine das regelmäßige Umtopfen der Orchidee in frisches Substrat wird sich positiv auf das Wurzelwachstum auswirken. Zwischenzeitlich könnte man die obere Schicht des Substrates regelmäßig austauschen.

In der Natur können sich keine Salze im Substrat durch die regelmäßigen Regelfälle ansammeln. Bei Messungen am Naturstandort im Mt. Kinabalupark in 1700 Metern Höhe (Sabah, Malysia, Borneo) habe ich kurz nach dem Beginn des Regens das herunterlaufende Wasser an einem Baum aufgefangen. Der Leitwert betrug zu Beginn des Regens 125 µS, nach einer halben Stunde waren dann nur noch Werte von 25 µS zu messen. Das Velamen der Orchideen vorort saugt sich sofort nach dem Einsetzen des Regens mit dem leicht nährstoffhaltigem Wasser bis zur Sättigung voll. Dieses Verhalten der Wurzel sollte man auch bei der heimischen Kultur beachten.

Auf der Suche nach Nahrung kann die Orchideenwurzel in alle Richtungen wachsen. Wächst die Wurzel frei auf einem Ast oder Gestein, ist die grüne Wurzelspitze und das weißlich Verlamen gut sichtbar. Erreicht die Wurzel dann aber eine Humusansammlung oder Moos verändert sich das Aussehen der Wurzel und es können feine Wurzelhaare gebildet werden. Damit werden die wenigen Nährstoffe optimal aufgenommen und können gut verwertet werden. Bekannt war mir das bisher nur von den Paphiopedilen, aber die beigefügten Bilder zeigen diese wirksame Methode der Nahrungsaufname auch von anderen Orchideen. Bei zu viel Wärme im Kulturraum oder hohe Düngergaben verschwinden diese feinen Wurzelhaare in kurzer Zeit

 

 

Für einen guten Wuchs unserer Orchideen in unseren Kulturen sind bestimmte Nährstoffe wichtig. Bisher ist man davon ausgegangen, dass mindestens die Hauptnährstoffe Stickstoff (N), Phosphor (P), Kalium (K) sowie bestimmte Spurenelement notwendig sind. Neuere Forschungen bzw. Veröffentlichungen u.a. auch durch Dr. Wolfgang Ermert haben jetzt ergeben, dass insbesondere auch Calcium und Magnesium sehr wichtig für die Ernährung der Orchideen sind. Dass gerade das Calcium jetzt als wichtigstes Nährelement für alle Orchideen erkannt worden ist, überrascht schon.

Die meisten Dünger oder Orchideendünger enthalten kein Calcium. Um den Calciumbedarf der Orchideen zu sichern, sollte daher regelmäßig mit Kalksalpeter (z.B. Calcinit) gegossen werden – doch niemals mit einem anderen Dünger zusammen! Das Calcium würde dann mit anderen Nährelementen (insbesondere dem Phosphor) reagieren und steht den Pflanzen dann nicht mehr als Nährstoff zur Verfügung. Obwohl die meisten Leitungswässer nicht unerhebliche Mengen an Calcium enthalten, steht dieser Kalk den Orchideen wegen chemischer Reaktionen mit anderen Salzen nicht zur Verfügung.

                                                                                                                                                                                                   Wurzeln von Paphiopedilum auf der Suche nach Nährstoffen

 

 

Abschließend noch beachtenswerte Hinweise für die Orchideenkultur:

 

  1. Wenn die grünen Wurzelspitzen der Orchideen im Wachstum nicht länger als 1 cm sind, dann können die Wachstumsbedingungen verbessert werden. Versuchen Sie es mit mehr Feuchtigkeit, etwas mehr Wärme und einer geringeren Konzentration des Düngers.

  2. Wenn die neuen Wurzeln wie ein Wurststrang mit dicken und dünnen Stellen aussehen, dann ist die Kulturmethode ungleichmäßig. Sorgen sie für mehr Feuchtigkeit in der Luft und weniger im Topf.

  3. Wenn die grüne Wurzelspitze zu wachsen aufhört, sobald sie an die Substratoberfläche stößt, dann ist der Salz- oder Säuregehalt in der obersten Substratschicht größer, als ihn die Pflanze vertragen kann. Denken sie jetzt ans Umtopfen – mindestens die oberen 3 cm des Pflanzstoffes sind auszutauschen.

  4. Wenn eine neue im Wachstum befindliche Wurzel sich mit Vorliebe an der Außenseite des Topfes oder Körbchens festsetzt, fördern sie das, solange es nicht zu viel Mühe macht. Orchideenwurzeln scheinen viel leistungsfähiger zu sein, wenn sie sich an eine feste Oberfläche anheften.

  5. Wenn in Töpfen gehaltene Orchideen die Mehrzahl ihrer Wurzeln lieber in die Luft wachsen lassen als in den Pflanzstoff, denken sie beim nächsten Umpflanzen an ein Körbchen oder Korkstück.

  6. Sie können im jeweiligen Kulturraum ihrer Orchideen nicht exakt die natürlichen Bedingungen nachahmen. Werten sie also die Toleranz der Wurzeln aus, in dem sie ihre eigenen Beobachtungen und ihren gesunden Menschenverstand benutzen.

  7. Achten sie immer auf das, was „Ihnen die Pflanze durch ihre Wurzeln erzählt“.